Zum Jahresauftakt würdigt das Filmmuseum den berühmtesten Filmkomponisten
Ennio Morricone - Retrospektive ab 13. Jänner im Filmmuseum...
Der Römer Ennio Morricone (1928–2020) hat alleine fürs Kino über ein halbes Jahrhundert hinweg 500 Soundtracks produziert und war auch sonst vielfältig musikalisch tätig. Seine Schaffensfreude tat seinem Einfallsreichtum keinen Abbruch, vielmehr gelang Morricone der Spagat, so populär wie innovativ zu wirken: Selbst Menschen, die nie die dazugehörigen Filme gesehen haben, kennen viele seiner berühmtesten Melodien. Zugleich hat er stärker als andere Komponist*innen die Filme entscheidend mitgeprägt, und sei es nur durch die Wiedererkennbarkeit des Morricone-Klangs, zu dessen Markenzeichen sowohl minimalistische Ohrwurm-Harmonien wie gelegentliche einprägsame Dissonanzen gehören.
Das Musterbeispiel sind wohl die Kompositionen für jene Filme, die Morricone ebenso wie Regisseur Sergio Leone (und Hauptdarsteller Clint Eastwood) schlagartig berühmt machten: die bahnbrechende "Dollar-Trilogie" von Italowestern-Superhits – Per un pugno di dollari / A Fistful of Dollars (1964), Per qualche dollaro in più / For a Few Dollars More (1965) und Il buono, il brutto, il cattivo / The Good, the Bad and the Ugly (1966). So wie Leones barocke, amoralische und sardonische (Re-)Vision alle Regeln des klassischen Western über den Haufen warf, sprengte Morricones revolutionärer Sound die Vorstellungen von herkömmlicher Filmmusik auf. Seine Fusion von eingängigen Akkorden und mitsingbaren Melodien mit verblüffenden Instrumentierungen – E-Gitarren und Maultrommel, Pfiffe und Schreie, Trompeten, Schüsse und Peitschenhiebe – schlug buchstäblich ein wie eine Bombe.
Ebenso revolutionär war dabei das Zusammenspiel mit Leones stilisierten Schnittfolgen, deren Epik Morricones Musik den Raum zur Entfaltung ließ, was Steigerungen von bis dahin ungeahnter Intensität möglich machte. Leone verglich die Beziehung mit einer Ehe und ließ die Scores bald von Morricone größtenteils vorkomponieren, um beim Dreh seine mise-en-scène im Rhythmus der Musik zu gestalten: eine Art schöpferischer unio mystica, die in den audiovisuellen Apotheosen des Über-Westerns C'era una volta il West / Once Upon a Time in the West (1968) kulminierte.
Nach Brotberufs-Jahren als Jazz-Trompeter sowie zusehends erfolgreicher Arrangeur und Komponist von Radio-Hits kam für Morricone mit dem Italowestern-Boom der endgültige Durchbruch als Filmmusiker. Er schrieb für viele Klassiker des Subgenres legendäre Musik, haderte aber dann mit der ihm lange anhaftenden Bezeichnung „Westernkomponist“ und verweigerte die Rückkehr ins Fach: Am Ende seiner Karriere rechnete er gerne vor, dass Western nur acht Prozent seiner Filmografie ausmachten. Die stupende Vielseitigkeit – ästhetisch, geografisch, inhaltlich und kompositorisch – lässt das Phänomen Morricone noch beeindruckender erscheinen. Seine spezielle Note ist von bestimmten Filmen und ganzen Genres nicht wegzudenken, in Italien ebenso wie später in Frankreich oder Hollywood: von Welterfolgen zu (oft unverdienten) Flops, von hoher Kunst zum Billig-Reißer – der Morricone-Stempel sorgt für die unverkennbare Prägung.
Angesichts von Morricones gewaltigem Schaffen kann selbst unsere große Auswahl nur versuchen, einige der wichtigsten Punkte und Entwicklungen seiner Karriere vorzustellen. Die Bandbreite reicht von Morricones Anfängen im Komödienfach, begonnen durch die fruchtbare Zusammenarbeit – zunächst übrigens beim Theater – mit dem Ausnahmeregisseur Luciano Salce, bis zur späten Rückkehr ins Western-Genre für seinen Bewunderer Quentin Tarantino mit The Hateful Eight (2015), was Morricone am Ende der Laufbahn seinen einzigen regulären Academy Award eintrug, nachdem er trotz seiner unvergleichlichen Erfolge auch in Übersee 2007 mit dem Ehren-Oscar abgespeist worden war.
Morricone selbst sah Tarantinos Film weniger als Western denn als Kammerspiel, in dem die Spannung zwischen den Figuren konstant ansteigt: Wie beim Schach, das neben der Musik Morricones große Leidenschaft war und in dessen "mathematischen" Harmonien und intuitiven "Regelbrüchen" er eine Verwandtschaft zu seinen kompositorischen Zugängen spürte, die sich so stets wandelten und erneuerten. Unsere Retrospektive präsentiert eine Auswahl der spannendsten künstlerischen Kollaborationen Morricones.
Das umfasst die gefeierte Zusammenarbeit mit Regisseuren wie Leone und Elio Petri – dessen Un tranquillo posto di campagna (Das verfluchte Haus, 1968) daran erinnert, dass Morricone nebenbei auch ein großer Komponist der Avantgarde war, insbesondere mit dem überragenden Improvisations-Ensemble Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza – ebenso wie andere langjährige und intensive Arbeitsbeziehungen, etwa mit Pier Paolo Pasolini, Bernardo Bertolucci und vor allem Mauro Bolognini. Aber auch Morricones internationale Seite wird ausgiebig gewürdigt, vom französischen Thriller wie I... comme Icare (I wie Ikarus, 1979) zu seinen späteren außergewöhnlichen Hollywood-Ausflügen mit John Carpenter (The Thing, 1982) oder Brian De Palma (Casualties of War, 1989). Immer wieder sind dabei neue Tonlagen und Ansätze dazugekommen, doch die Handschrift ist einzigartig geblieben und hat Morricone seinen so einfachen wie erhabenen Spitznamen eingetragen: il maestro. (Christoph Huber)
In Kooperation mit dem Filmarchiv Austria präsentieren wir zusätzlich ein Morricone-Double-Feature mit deutschen Synchronfassungs-Kopien von beiden Institutionen: Im Metro Kinokulturhaus (Johannesgasse 4, 1010 Wien) laufen am 11.2. um 19.45 Uhr in der "Wild Friday Night" der französische Polit-Thriller L'attentat (Das Attentat, 1972) von Yves Boisset und der Italo-Western Il mercenario (Mercenario – Der Gefürchtete, 1968) von Sergio Corbucci.
13. Jänner bis 03. März 2022
Österreichisches Filmmuseum
Augustinerstraße 1
A-1010 Wien
Infos & Tickets:
https://www.filmmuseum.at/
Text: Österreichisches Filmmuseum
Foto: Per un pugno di dollari / A Fistful of Dollars, 1964, Sergio Leone